Rechtsruck in Europa – sind unsere Demokratien in Gefahr?
Ich bin Europäerin. In Hessen in Deutschland erblickte ich einst das Licht der Welt und ich besitze bis heute einen deutschen Pass. Vor 15 Jahren bin ich nach Spanien ausgewandert und liebe das Land im Süden Europas, das längst meine neue Heimat geworden ist. Ich weiß sehr zu schätzen, was die EU ihren Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht. Wir können problemlos die europäischen Grenzen überschreiten, unseren Wohnort in Europa frei wählen und überall ohne große Hürden arbeiten. Während meine Oma zwei Kriege erleben musste – den ersten und den zweiten Weltkrieg – und mir als Kind all das Leid und das Grauen eines Krieges geschildert hat, lebe ich in einem Europa, das für Frieden und Freiheit steht. Ich bin unglaublich dankbar in diesem wunderbaren Europa leben zu dürfe und in zwei demokratischen Staaten so viele wunderbare Momente erlebt haben zu dürfen. Deutschland und Spanien, zwei Länder in Europa, die ihren Bürgern so viel Freiheit, Sicherheit und Wohlstand bieten.
Doch seit ein paar Jahren steigt meine Sorge. Ich bin mit europäischen Werten aufgewachsen und Demokratie, Freiheit und Toleranz sind mir extrem wichtig. Doch seit einigen Jahren bemerke ich eine Veränderung in Europa, die mir wirklich Angst macht. Rechtspopulismus, Hass und Intoleranz machen sich breit.
Die Angst vor den Flüchtlingen
Europa lässt Menschen im Mittelmeer ertrinken, die vor einem Leben flüchten, das so schrecklich für sie ist, dass sie es in Kauf nehmen bei der Flucht ums Leben zu kommen. Europa schaut zu, wenn Menschen ertrinken und leistet keine Hilfe – aus Angst davor, dass zu viele Menschen nach Europa fliehen könnten und unsere Gesellschaft zerstören könnten. Eine Angst, die weit von der Realität entfernt ist. Vier von fünf Flüchtlingen leben im Nachbarland ihres Heimatstaates und sind nicht auf dem Weg nach Europa. Ende 2018 waren es 1,1 Millionen Menschen, die in Deutschland als Schutzsuchende registriert waren. In einem Land in dem knapp 83 Millionen Menschen leben. Von einer Flüchtlingswelle und einem „Überrollt werden“ kann also keine Rede sein. Und auch die Kriminalität ist mit den Geflüchteten nicht gestiegen, wie so viele Rechtspopulisten gerne behaupten. Tatsächlich gibt es keine Hinweise darauf, dass mit den neu hinzugekommenen Flüchtlingen der vergangenen Jahre die Anzahl der Straftaten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung massiv zugenommen hätte. Die Angst vor Menschen, die geflüchtet sind und in Deutschland Hilfe suchen, ist also völlig unbegründet. Und generell kann ich nicht verstehen, dass Europa Menschen ertrinken lässt. Es sind Mütter, Väter, Kinder wie wir, die wir vor der Haustür Europas sterben lassen! Doch Europa schreitet nicht ein. Stattdessen werden Helden wie Carola Rakete für Ihre mutigen Rettungsaktionen festgenommen und vor einen Richter gestellt. Wie kann Europa so kaltherzig und menschenfeindlich sein?
Auch auf den Kanarischen Inseln, die zu Spanien gehören und wo ich lebe, sind wir mit der Flüchtlingsproblematik vertraut. Regelmäßig kommen Menschen in kleinen Booten hier an – gestartet mit großen Hoffnungen und sicherlich großer Angst setzen sie sich an der afrikanischen Küste in ein Boot, um nach Europa zu kommen. Es ist erschreckend in welchen „Nussschalen“ die Menschen diese Flucht über das Meer antreten. Immer wieder landen solche Boote hier an den Küsten der Kanarischen Inseln, immer wieder sind Tote dabei. Manchmal liegen die Toten mit in den Booten, manchmal werden sie angespült. Wer dies je gesehen kann, der darf nicht behaupten, dass diese Menschen aus Jux und Dollerei eine solche Flucht antreten. Sie sind sich der Gefahr bewusst. Es sind unzählige Tote, die hier immer wieder angespült werden. Und ich frage mich jedes Mal: vor welchem Leben laufen diese Menschen davon, dass sie bereit sind eine wirklich lebensgefährliche Flucht anzutreten?
Der Rechtsruck
Überall in Europa verlieren die großen Volksparteien an Stimmen und rechte Parteien feiern Erfolge, die mir wirklich Angst machen. Als Deutsche, die von außen die deutsche Politik beobachtet, ist es grauenvoll zu sehen, dass eine Partei wie die AfD so viele Stimmen erhält. Und ich kann nicht verstehen, wie gerade Deutsche eine rechtspopulistische, in Teilen rechtsextreme Partei wählen können. Haben wir denn nichts aus unserer Vergangenheit gelernt? Es erschüttert mich zutiefst sehen zu müssen, dass so viele Menschen diese rechte Partei unterstützen. Doch leider sieht es auch in Spanien nicht viel besser aus. Die Wahlen sind gerade vorbei und auch wenn die Sozialdemokraten zwar stärkste Partei sind, feiert die rechte Partei Vox einen großen Erfolg. Sie ist nun drittstärkste Fraktion im spanischen Parlament. In Spanien wird die Demokratie gerade auf eine harte Probe gestellt. Es ist schon die vierte Wahl in vier Jahren, denn die spanischen Parteien können sich nicht auf eine Koalition einigen. Immer wieder die selben Kandidaten, die selben Programme, die selben Hahnenkämpfe und die Wähler sollen es in Neuwahlen richten. Die Parteichefs bleiben stur und das Land leidet darunter. Und dabei wächst die rechte Partei Vox immer mehr.
Woher kommt dieser Rechtsruck?
Ich bin keine Expertin in Politik, aber ich denke, dass einige Gründe deutlich zu erkennen sind. Zum einen sind viele Menschen in Europa unzufrieden mit den regierenden Parteien. Das Vertrauen in die Politik ist ganz klar gesunken. Hinzukam die Angst vor dem Terrorismus, die Angst vor der Wirtschaftskrise und natürlich die Angst vor den Folgen der angeblichen „Flüchtlingskrise“. Zuletzt muss man ganz klar erkennen, dass Rechtspopulisten in ganz Europa erfolgreich die sozialen Netzwerke nutzen, um ihre Anhänger zu mobilisieren und ihre Botschaften zu verbreiten. Und sie nutzen ganz gezielt die Möglichkeiten zur Manipulation und Desinformation, die soziale Netzwerke wie beispielsweise Facebook oder Twitter leider bieten. Vor allem mit Fake News und Social Bots schaffen es die Rechtspopulisten Menschen anzustacheln, aufzuhetzen und zu beeinflussen. Und leider schlafen die anderen Parteien noch immer und überlassen den Populisten dieses Feld weitgehend. Das muss sich schnell ändern bevor die Rechtspopulisten noch stärker werden.
Hass und Intoleranz wächst
Auch im Freundes- und Bekanntenkreis sehe ich eine Veränderung. Es scheint wieder salonfähig geworden zu sein, ausländerfeindliche Meinungen auszutauschen. Ich habe wirklich das Gefühl, in den letzten Jahren vermehrt rechte Ansichten mitzubekommen. Häufig von Menschen, von denen ich es gar nicht erwartet hätte. Auch auf Facebook bemerke ich, dass einige Bekannte rechtpopulistische Inhalte teilen und auch Hass verbreiten. Oft ohne darüber nachzudenken, was sie da posten und ob das wirklich der Wahrheit entspricht. Natürlich ist Meinungsvielfalt wichtig und auch den Respekt Andersdenkenden gegenüber sollten wir nicht verlieren. Aber wenn die Toleranz sinkt, die Menschenverachtung wächst und bestimmte Personengruppen zum Sündenbock erklärt werden, dann geht mir das zu weit. Die Deutsche Vergangenheit hat gezeigt, wie schnell es passieren kann, dass Hass und Menschenverachtung zu wahren Gräueltaten führen. Und so versuche ich durch Gespräche, Argumente und Fakten dagegenzuhalten. Ich kündige Personen nicht die Freundschaft auf Facebook, weil sie rechtes Gedankengut teilen. Ich versuche in den Dialog zu treten und zwar möglichst sachlich und freundlich.
Ich bin keine „linke Bazille“, wie man von so manchem „Wutbürger“ gerne mal bezeichnet wird, sondern Europäerin, die weiterhin in einer demokratischen, toleranten, menschenfreundlichen und friedlichen Gesellschaft leben möchte.
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