Interview mit dem Journalisten und Blogger Richard Gutjahr Teil I
FRISCH GEBLOGGT SPEZIAL:
Die Zukunft der Content- und Medienindustrie
Als New-Media-Berichterstatterin begleite ich offiziell das „Flying Sparks Überflieger“-Team der Frankfurter Buchmesse 2011. Neben klassischen Blogposts erwarten Euch hier im Blog in den nächsten Wochen witzige Clips, interessante Interviews und spannende Diskussionen rund um das Thema „Flying Sparks“ & „Contentproduktion der Zukunft“.
Heute habe ich ein weiteres spannendes Interview für Euch vorbereitet. Da ich mich derzeit mit dem Medienwandel und dem Einfluss der neuen Medien auf Content-Produzenten beschäftige, bietet es sich natürlich an, einfach die Menschen zu fragen, die sich und ihre berufliche Tätigkeit bereits erfolgreich an die neuen Medien angepasst haben.
Ich freue mich wirklich sehr, dass ich den erfolgreichen Journalisten und Blogger Richard Gutjahr für ein Interview gewinnen konnte. Ich habe ihm einige, interessante Fragen gestellt und wirklich spannende Antworten bekommen, aber lest selbst!
Frisch gebloggt: Trotz Deiner erfolgreichen journalisten Laufbahn (Du moderierst unter anderem Rundschau Nacht und machst auch Reportagen und Beiträge für die ARD) hast Du vor drei Jahren beschlossen ein eigenes Weblog zu starten: Gutjahr.biz. Was waren Deine Beweggründe?
Richard Gutjahr: Das war fast Notwehr! Notwehr dahingehend, dass ich gespürt habe, dass die Welt draußen schon sehr viel weiter ist als wir Medienleute das in unseren Silos so wahr nehmen und auch wahrhaben wollen. Du musst Dir das so vorstellen: ich moderiere seit zehn Jahren eine Nachrichtensendung, recherchiere und filme und spreche mit Korrespondenten und besuche Themensitzungen und Konferenzen. Aber wenn man es genau nimmt, dann bewegen wir uns alle, die wir in diesem Job arbeiten, doch immer nur im Kreis. Wir sprechen mit den selben Leuten, wir haben ein gesetztes Adressbuch mit Namen von Ansprechpartnern und Experten, die wir in unserem weitesten Wahrnehmungskreis noch von außen zulassen, aber was die Menschen wirklich bewegt, worüber sie gerade jetzt in Echtzeit sprechen, und nicht erst am nächsten Morgen, wenn wir unsere GfK-Zahlen, also die Einschaltquoten bekommen, oder irgendwelche Langzeituntersuchungen durch die Medienforschung auf den Tisch bekommen, da tappen wir völlig im Dunkeln. Da sind wir komplett blind.
Und für Menschen, die mit Informationen nicht nur arbeiten, sondern davon leben – wir bauen ja keine Autos oder nähen Anziehsachen – also dass wir in unserem ureigensten Metier doch einen so großen Bereich einfach ausklammern, und gar nicht in unserem Blickfeld haben, das bereitete mir zusehens immer mehr Bauchschmerzen. Und irgendwann mal nach der zehnten Podiumsdiskussion, „dass man was tuen muss“, „dass man sich verändern muss“ und „dass die Welt nicht auf einen wartet“ und… und… und…, war ich es dann leid und habe gesagt: „Hilft ja nichts! Wir können jetzt noch fünf Jahre weiterreden und schlau vor uns hintheoretisieren oder aber man fängt einfach mal an und tut wenigstens mit seinen bescheidenen Bordmitteln, die man hat und springt einfach mal ins kalte Wasser!“
Frisch gebloggt: Hat das denn funktioniert mit dem Blog? Hast Du das Gefühl, jetzt auch andere Stimmen wahrzunehmen und anderen Input zu bekommen?
Richard Gutjahr: Ja, das war ganz spannend. Ich hab also dann tatsächlich beschlossen, das erste Mal einen Blogbeitrag so zu gestalten, dass ich dann auch die Kommentarfunktion freigeschaltet habe. Und dann sitzt man so da und drückt immer auf diesen Refresh-Button, und wartet und wartet, dass endlich mal jemand was schreibt. Ja, aller Anfang ist schwer! Natürlich hat das lange gedauert! Und dann plötzlich, geht die Fahne nach oben und jemand hat etwas geschrieben. Und das war dann hat so nach dem Motto: „Lahmer Beitrag! Was soll das?“. Und dann war ich erst einmal kurz perplex und hab gedacht: „Mensch, das fängt ja toll an!“. Aber dann so nach fünf Minuten oder so hab ich mir gedacht: „Hej, da hat jemand meinen Blog gelesen!“. Und ich hab zumindest in ihm ausgelöst oder provoziert, dass er sich dazu genötigt fühlt mich dafür zu kritisieren. Immerhin eine Form von Response!
Du musst Dir vorstellen, wenn ich eine Nachrichtensendung moderiere, dann stehe ich da mit vielleicht zwei Kameraleuten und einem Regisseur im Studio und dann geht das rote Licht an und ich spreche in so einen schwarzen, toten Kasten und dann ist die Sendung zu Ende und dann gehe ich nach hause. Und beim Bloggen habe ich das erste Mal tatsächlich ganz unmittelbar, quasi in Echtzeit, einen Sparringspartner, einen Zuschauer, User, Hörer – einen Kommunikations-PARTNER, und das erlaubt einem natürlich in ganz anderen Kategorien, in ganz andere Richtungen zu denken. Das hat eine völlig neue Welt für mich eröffnet und ich beginne überhaupt erst zu realisieren, was da noch alles vor uns liegt.
Frisch gebloggt: Bringt Dir Dein Blog auch für Deinen Beruf als Journalist Vorteile? Wenn wir nach Amerika schauen, sehen wir, dass die Printmedien in einer tiefen Krise stecken, Weblogs dagegen sind sehr erfolgreich und haben viele Leser. Glaubst Du, dass Du mit dem Führen eines Blogs in Deine berufliche Zukunft investierst?Richard Gutjahr: Das ist etwas sehr richtiges, was Du da gesagt hast. Mich fragen oft Studenten, Journalisten, Schüler, junge Menschen, die es in die Medien zieht, warum ich mir das denn antue, dass ich beispielsweise neben meinem bezahlten Job nachts um zwei Uhr noch anfange zu bloggen. Ich sehe das in der Tat als eine Investition in meine Zukunft. Als etwas wo man sich in diesem Stadium auf gar keinen Fall schon fragen sollte, was kriege ich zurück. Jetzt in Geld und Honoraren gedacht oder auch in Aufträgen, dass ist wenn man so will eine Wette auf die Zukunft. Oder etwas krasser formuliert: mein Wetteinsatz heute ist die Mehrarbeit, die Neugier, das Loslassen von gelebten und geübten Workflows, ja, auch zu einem großen Teil Selbstausbeute, in der Hoffnung, dass sich das in fünf oder vielleicht auch erst in zehn Jahren wirklich auszahlen wird. Das ist eine Art Training. Das ist ein Training für einen Marathon, nicht für einen Kurzstreckenlauf. Und jeder, der schon einmal versucht hat (ich bin so wahnsinnig unsportlich) zumindest an einem Habmarathon teilzunehmen, der weiß, man wäre verrückt, da erst eine Woche früher mit dem Training anzufangen.
Frisch gebloggt: Du hast eben die finanzielle Seite angesprochen. Klar, Du hast keinen Auftragsgeber, der Dich dafür bezahlt, dass Du dieses Blogs schreibst, das Blog ist für Dich eine Investition für die Zukunft, aber dennoch bietest Du auf Deinem Blog an, dass man dort Werbeanzeigen schalten kann, Du nutzt Flattr und auch Paypal. Wenn Du das nebeneinanderhältst: zum einen das Schreiben der Blogartikel, dazu kommt noch die technische Arbeit, die so ein Blog erfordert und zum anderen die Einnahmen, die über diese drei genannten Möglichkeiten hereinkommen. Lohnt sich das finanziell gesehen?
Richard Gutjahr: Da muss man differenzieren. Noch einmal, die Frage nach dem Geld an den Anfang zu stellen ist grundverkehrt und wenn man das tut, dann sollte man doch lieber dabei bleiben Wälder abzuholzen.
Frisch gebloggt: Gut, wenn aber die Zukunft im Online-Journalismus liegt, müssen doch auch irgendwann Geschäftsmodelle entwickelt werden, damit sich das für die Produzenten von hochwertigen Content lohnt.
Richard Gutjahr: Das ist richtig, aber die Betonung liegt (mit drei Ausrufezeichen!!!) auf dem Wort „irgendwann einmal“, nicht am Anfang. Ich erlebe immer wieder, auch bei jungen Kollegen, eine Attitüde, ich kann das gar nicht anders bezeichnen, die mich entsetzt. Nämlich schon nach dem Geld zu fragen bevor man überhaupt mal etwas geleistet hat oder auch nur angefangen hat, in sich selber und in seine Fähigkeiten zu investieren. Da halten schon ganz viele Leute die Hand auf bevor sie sich überhaupt auch nur bei Twitter oder Facebook angemeldet haben und fragen schon nach ihrem Return of investment. Eine schreckliche Eigenschaft! Wer so meint diese neue Welt erobern zu können, der kann nur scheitern! Davon rate ich ganz dringend ab! Die Tools sind alle kostenlos, Du kannst einen Blog für Mau machen, von Photoshop-Klons bis hin zu Serverkosten – im Grunde genommen kannst Du mit null Produktionsmitteln rein theoretischein Millionenpublikum erreichen. Das gab es noch nie in der Kommunikationsgeschichte. Und das ist schon mal ein riesen Vorteil, gleichwohl man muss natürlich wissen was man da tut, damit man überhaupt gefunden wird in diesem Kosmos. Und da hilf meines Erachtens momentan nur eins: Training, Training, Training. Es tun und nicht nur darüber zu reden.
Der zweite Teil des Interviews folgt morgen…
Na, wenn du schon so merkantil veranlagt bist: Es schaut auch immer mal wieder die eine oder andere Anfrage dabei heraus, ob man nicht etwas für ein anderes Blog/Blatt/Medium machen möchte. ,)
Wer ist Deiner Meinung nach merkantil veranlagt? Ich? Oder Richard Gutjahr?
Es geht mir in meinem Special „Contentproduktion der Zukunft“ auch darum, sich die Zukunft der Medienberufe anzusehen, deshalb habe ich Richard bewusst gefragt, ob man als Blogger etwas verdienen kann bzw. das Bloggen einen beruflichen Vorteil bringt.