Tue Gutes und werde beschimpft!
Ich laufe auf der Straße entlang und mein Blick bleibt an einem älteren BMW hängen, auf dessen Heckscheibe in großen Lettern „Fuck you Greta“ steht. Ich starre auf die drei Wörter und kann nur traurig den Kopf schütteln. Ist es nicht wunderbar, dass eine siebzehnjährige Jugendliche sich für den Schutz unserer Welt und unserer Natur einsetzt? Ist es nicht bewundernswert, dass diese junge Schwedin mit so viel Engagement und Willen ausspricht, wovor uns so viele Wissenschaftler schon seit Jahren warnen? Selbst wenn Menschen die Forderungen von Fridays for Future für zu drastisch und einschneidend halten und die Klimakrise trotz aller Expertenmeinungen nicht wahr haben wollen, sollte diese Meinung nicht in Hass und Respektlosigkeit gegen ein junges Mädchen ausarten. Wir alle sollten dankbar sein, dass es Menschen gibt, die sich für eine bessere Welt einsetzen und wichtige Themen ins Rampenlicht bringen, so dass sich die Politik damit befassen muss. Das ist der Grundgedanke der Demokratie. Nur so kann unsere Gesellschaft und unsere Welt sich zum Besseren verändern. Wie ich persönlich zu den Lösungsvorschlägen solcher Problematiken stehe, steht auf einem anderen Blatt. Zunächst einmal ist es wichtig, dass gewisse Themen in den Fokus gerückt werden, damit wir als Gesellschaft Lösungen suchen und Missstände bzw. Katastrophen angehen.
Leider ist Greta Thunberg nur ein Beispiel dafür, wie engagierte Menschen, die sich für ein Thema einsetzen, neben der Anerkennung auch unglaublich viel Hass und Spott erleiden müssen. Und es tut mir jedesmal weh, wenn ich diese Gehässigkeiten und Unterstellungen gegen Menschen wie Greta lesen oder hören muss.
Immer mehr Menschen engagieren sich für eine bessere Welt
Aber zu welchem Preis?
Weihnachten 2019 war ein besonderes Fest. Nicht nur, weil ich an diesem Heiligabend ein Kind unter dem Herzen trug und voller Vorfreude auf unseren Sohn in meinem Bauch und das Jahr 2020 blickte. Es war auch etwas Besonderes, weil viele Menschen in Deutschland sich zusammentaten, um unsere Welt ein wenig besser zu machen. Und an diesem Heiligabend sollte sich rausstellen, ob diesen Menschen die Chance gegeben werden sollte, ein großes Experiment zu starten. Die Idee dieser Aktivist*innen gründete sich auf ein vorangegangenes Ereignis.
Die Periode ist kein Luxus
Im Frühjahr 2019 setzte sich unter anderen die Berliner Firma Einhorn dafür ein, den Mehrwertsteuersatz auf Tampons und Binden zu senken. Wichtige Güter des täglichen Bedarfs werden in Deutschland mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent belegt. Produkte der Monatshygiene gehörten unverständlicherweise bislang nicht dazu. Doch das sollte sich nun endlich ändern! Im Frühjahr griffen Einhorn und das Magazin Neon das Thema auf und starteten eine Online-Petition. Unterstützung bekamen sie von verschiedenen Influencern und Künstlern wie beispielsweise der Autorin Charlotte Roche. Tatsächlich konnten sie gemeinsam viele tausend Menschen erreichen. Die 50.000 Unterschriften-Marke der Petition wurde geknackt. Und kurz darauf verkündete Finanzminister Olaf Scholz (SPD), dass die Steuer gesenkt werde. Wie schnell und einfach es dann doch möglich war, eine positive Veränderung herbeizuführen!
Nach diesem großen Erfolg der Mehrwertsteuersenkung von Tampons und Binden machten sich die Beteiligten Gedanken. Wenn genügend Personen erreicht werden können und diese gemeinsam eine Petition zu einem wichtigen Thema unterschreiben, dann können Probleme tatsächlich relativ schnell gelöst werden. Normalerweise dauert es in einem demokratischen Staat lange, bis die Regierung auf Probleme reagiert und Lösungen auf den Weg bringt. Könnte der Erfolg der „Periode ist kein Luxus“-Aktion nicht auch für andere Themen funktionieren? Und wie wäre es, wenn man eine große Bühne schaffen würde, auf der Wissenschaftler*innen ihre Lösungen präsentieren können und wie Rockstars gefeiert werden? Die Idee von 12062020olympia war geboren.
#12062020olympia
„Wir wollen am 12.06.2020 das Olympiastadion Berlin für ein Demokratie Festival mieten und dort Wissenschaftler*innen, demokratiefördernden Initiativen und zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Bühne geben, um Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit gebündelt zu präsentieren und diese z.B. mit Hilfe von Petitionen direkt vor Ort zu verabschieden (alles non-profit). […] Klimawandel, Rechtsruck, globale Ungerechtigkeit… Am 12.06.2020 wollen wir einen entscheidenden Anstoß dafür geben, unsere Gesellschaft, Politik und Wirtschaft so umzugestalten, dass aus unserer Zukunft wieder eine handfeste Perspektive für unseren Planeten und uns als seine Bewohner*innen erwächst.“ – Team 12062020olympia
Die Initiatoren Waldemar Zeiler und Philip Siefer (Gründer von einhorn) und andere Unterstützer, wie beispielsweise Aktivistin Louisa Neubauer, Autorin Charlotte Roche oder Sängerin Joy Denalane machten sich stark für diese Idee. Schnell wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Bis Heiligabend mussten 1,8 Millionen Euro zusammenkommen, um Stadionmiete, Security, Bühne, Technik, Gema etc. bezahlen zu können und das Projekt umsetzen zu können. Es war spannend zuzusehen, wie die die Zahl der Unterstützer*innen weiter und weiter stieg und tatsächlich durften sich alle an Weihnachten freuen: das Ziel wurde erreicht! Nun kann die Planung starten! Das musikalische Programm, sowie die politischen Aktionen und Workshops planen die Initiatoren mit vielen Partnern wie beispielsweise FridaysForFuture Berlin (beratend), ScientistsForFuture (beratend), EntrepreneursForFuture, Centre for Feminist Foreign Policy oder Mein Grundkeinkommen e.V.. Ich bin sehr gespannt, was bei diesem Event passieren wird, welche Menschen dort sprechen, welche Petitionen vorgestellt werden und welche politischen Veränderungen dann schlussendlich wirklich erreicht werden können.
Doch so spannend das Projekt auch ist, und auch wenn die Idee für politisches Engagement, eine lebendige Demokratie und den Willen, die Welt besser zu machen, steht, ziehen immer wieder dunkle Wolken auf. Es hagelt Vorwürfe und schlechte Presse. Und das beobachte ich mit Bedauern.
Vorwurf 1: Die Firma Einhorn nutzt das Event „12062020olympia“ als PR.
Ja, die Organisation des Riesen-Events findet im Einhorn-Büro statt. Ja, das Unternehmen Einhorn hat als solventer und vertrauenswürdiger Geschäftspartner das Olympiastadion reserviert. Und ja, da Waldemar Zeiler und Philip Siefer die Initiatoren sind, wird auch ihre Firma immer wieder in der Presse genannt (wie auch hier in diesem Blogpost). Wer sich ein wenig über die Firma Einhorn informiert, wird aber schnell feststellen, dass es ein sehr spezielles Unternehmen ist, dass so gar nicht für schnellen Wachstum und Gewinnmaximierung steht. Schon jetzt fließt die Hälfte der Gewinne in Nachhaltigkeit, ab Ende 2019 sollen es sogar hundert Prozent sein. Und Zeiler und Siefer versichern, dass es auch keine Einhorn-Werbung im Stadion geben wird. Die Frage bleibt natürlich: Dürfen Unternehmen aktivistisch sein? Keine Frage, es hat einen Beigeschmack, dass die Firma Einhorn so mit dem Event verbunden ist. Aber ist das wirklich ein Grund, diese gute Idee zu boykottieren?
Vorwurf 2: Warum das teure Olympiastadion mit Nazi-Vergangenheit?
Es wurde von Hitler erbaut und von den Nazis für ihre Propaganda missbraucht. Und es kostet jede Menge Geld zu mieten. Muss es also unbedingt das Olympiastadion sein? Letztendlich kostet eine Großveranstaltung immer Geld. Ich glaube kaum, dass ein anderer Ort so viel günstiger wäre. Und nur weil die Nazis mal an einen Ort waren oder diesen erbaut haben, muss dieser nicht gemieden werden. Sonst dürften wir ja schließlich auch keine Autobahnen benutzen… Viel besser ist es, einen solchen Ort mit neuen, guten und positiven Events und Erinnerungen zu besetzen.
Vorwurf 3: Sind Nazis willkommen?
In einem über zweistündigen Interview mit Tilo Jung aus der Reihe „Jung & Naiv“ zum Thema „12062020olympia“ gibt Mitinitiator Philip Siefer eine Antwort, die sehr unglücklich formuliert ist. Jung fragt: „Alle sind willkommen, auch Nazis?“. Deutlich überrumpelt von der Frage antwortet Siefer stammelnd: „Ja, also, wenn sie sich konstruktiv an der Lösung der Probleme, die wir genannt haben, beteiligen möchten…“ Und als Tilo Jung nochmal nachfragt: „Wenn ihr gegen Rassismus seid, dann kannst du ja nicht sagen, dass Nazis willkommen sind!“, antwortet Siefer daraufhin: „Ja genau. Das schließt sich dann ja sozusagen aus. Nazis, die gegen Rassismus sind, die sind dann vielleicht willkommen.“. Weder eine kluge noch eine witzige Antwort, die Philip Siefer gegeben hat. Aber es ist offensichtlich, dass er kein Nazi-Sympathisant ist, sondern im Interview einfach nur überfordert war und eine unüberlegte Antwort gegeben hat. Eine Antwort, für die er sich auch im Nachhinein entschuldigt hat: „Wir wollen und werden am 12. Juni natürlich nicht mit „Nazis“ diskutieren und es tut mir sehr leid, wenn ich das nicht deutlich genug gesagt habe.“
Kritisieren ist einfacher als für etwas einstehen
Sobald sich jemand für etwas engagiert und von den Medien wahrgenommen wird, entsteht in Deutschland anscheinend immer eine Meute, die auf dieser Person rumhacken muss. Wir alle erleben bis heute, wie bösartig Greta Thunberg immer wieder in den sozialen Netzwerken, aber auch draußen auf der Straße angegangen und beleidigt wird. Eine siebzehnjährige junge Frau, die sich für eine klimafreundlichere Welt einsetzt! Es werden ihr schlechte Absichten und Bösartigkeiten unterstellt, für die es keine Beweise gibt. Sie wird beschimpft und sogar bedroht. Und ähnlich passiert es auch mit der Aktion „12062020olympia“. Statt die Chance zu sehen, dass Demokratie begeistern und diese Veranstaltung zu fortschrittlichen, guten und schnellen Lösungen führen könnte, wird erst einmal schlecht geredet und das Haar in der Suppe gesucht.
Menschen machen Fehler. Menschen denken nicht über jede ihrer Handlungen und Aussagen bis ins kleinste Detail nach. Und weder Greta Thunberg, noch Philip Siefer haben Dinge getan oder gesagt, die all die bösen und negativen Reaktionen rechtfertigen, die ich in der letzten Zeit lesen musste. Wären nur all diese Hater und Kritiker so streng zu sich selbst, wie sie es zu solchen Aktivisten sind! Ich finde es traurig, dass diesen mutigen und engagierten Leuten solch ein rauher Wind entgegenweht. Sollten wir Menschen, die unsere Welt besser machen möchten und dafür auch etwas riskieren, nicht mehr Respekt und Freundlichkeit entgegenbringen? Selbst wenn wir nicht in allem übereinstimmen, was diese sagen oder fordern, sollten wir alle den Hut vor diesen Personen ziehen. Denn es sind eben diese Menschen, die unsere Welt verändern und durch ihr Handeln besser machen.
„Man muss das Gute tun, damit es in der Welt sei.“
Marie von Ebner-Eschenbach
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