Menschen, die Du kennst und doch nicht kennst

🕓 Lesezeit circa 5 Minuten

Fremde

Bild: Jeffrey / Flickr

In unserem Leben begegnen wir vielen tausend Menschen. Gesichter kommen und gehen. Kontakte entstehen und lösen sich wieder auf. Neben unseren guten Bekannten, Freunden, Arbeitskollegen und Familienmitgliedern, die wir regelmässig sehen und sprechen, gibt es viele Menschen, die wir zwar öfter sehen, die wir aber nicht wirklich kennen. Teilweise kennen wir nicht einmal die Namen dieser Personen.

Von der Frau an der Supermarktkasse über den Postboten bis hin zum Facebook-Freund, dessen Freundschaftsanfrage wir bestätigt haben ohne ihm je persönlich begegnet zu sein – alles Menschen, die mir eigentlich fremd sind. Eigentlich. Denn die Supermarktfrau sehe ich bestimmt einmal die Woche; ich beobachte sie jedesmal an ihrer Kasse, höre zu, wie sie mit Kunden und Kollegen spricht und ich erkenne sogar, wenn sie eine neue Frisur hat. Und meine Briefträgerin ist mir auch nicht wirklich fremd. Sie ist sehr freundlich. Auch wenn ich ihren Namen nicht kenne, halte ich gerne einen kurzen Plausch mit ihr an der Tür und erfahre somit Kleinigkeiten aus ihrem Leben. Und auch meine unbekannten Facebook-Freunde sind keine echten Fremden, denn sie veröffentlichen regelmäßig etwas aus ihrem Leben, weshalb ich mehr über sie weiß, als ich vielleicht wissen sollte. Bekannte Unbekannte.

Es ist spannend über solche Menschen nachzudenken. Deshalb möchte ich Euch zwei von meinen bekannten Unbekannten heute gerne vorstellen.

Mikrofon

Bild: Stevebustin / Flickr

Der singende Club-Besitzer

Ich gehe nicht sehr oft aus. Aber wenn ich ausgehe, dann wird es meistens sehr lustig und auch sehr spät. Bis vor einem Jahr bin ich mit Freunden besonders gerne in einen Club gegangen, der sich in einem recht kleinen Ort befindet und sich zudem in einer unbelebtem Nebenstraße versteckt. Nicht viele Nachtschwärmer verirrten sich dorthin, aber die Stimmung in diesem Club war so heimelig und besonders, die Getränke so günstig und der Besitzer der Bar so unglaublich nett, dass es mich immer wieder dorthin verschlagen hat. Ich weiß bis heute nicht, wie der Mann heißt, der bis vor zwölf Monaten noch diesen Club geführt hat. Ich weiß auch nicht, weshalb der Club geschlossen wurde und was dieser Mann heute beruflich macht. Aber ich erinnere mich gerne an ihn und bin traurig, dass ich dort nicht mehr zum Trinken, sich Amüsieren und Karaoke singen hingehen kann. Der Besitzer der Bar war ein faszinierender Mann. Um die 60 Jahre alt, extrem freundlich und ein leidenschaftlicher Sänger. Jedesmal wenn ich kam, begrüßte er mich mit zwei Küsschen, denn er erinnerte sich an meine Besuche in seinem Club und an mein Gesicht. Er hatte eine professionelle Karaoke-Anlage in seiner Bar stehen, die immer Mittwochs- und Sonntagabends in Betrieb genommen wurde. Sobald die Karaoke-Nacht begann, blühte der Clubbesitzer auf. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd, bewegte seine Lippen zu jedem Song, der gesungen wurde und seine Hüften begannen sich augenblicklich zum Takt der Musik zu bewegen. Beim Servieren der Getränke tanzte er und er überzeugte fast jeden Gast davon, sich ein Lied aus dem großen, abgewetzten und teilweise etwas klebrigen Ordner auszusuchen, in dem hunderte von Karaoke-Titel standen. Spätestens nach jedem dritten Lied, lief er dann aber zu den Gästen, die gerade gesungen hatten und riss ihnen das Mikrofon aus der Hand, um selbst ein Lied zu trällern. Er sang ausschließlich Liebesschnulzen, mit einer wirklich passablen Stimme und so viel Leidenschaft, dass er mich jedesmal in seinen Bann zog. Er fühlte die Lieder und zog sich und sein Publikum jedesmal in eine andere Welt – auch wenn sein Englisch nicht wirklich gut war und so mancher englischer Lovesong nur zu verstehen war, wenn man den Liedtext auf dem Bildschirm mitlas. Ich habe sein Bild genau vor Augen: wie er auf der kleinen Tanzfläche steht, in der einen Hand das Mikrofon, die andere Hand in der Luft zum Gestikulieren. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie er kräftig und voller Leidenschaft in das Mikrofon singt, die Augen schließt, für einen Moment alles um sich herum vergisst und den Herzschmerz von dem er singt tief in sich fühlt. Ich erinnere mich, wie nach seiner Gesangseinlage die zehn bis zwanzig Gäste aufspringen und ihm einen tobenden Applaus bescheren. Und ich erinnere mich an sein strahlendes Gesicht, wie er sich verbeugt und einfach nur glücklich ist.

Mutter und Tochter

Bild: Donnie Ray Jones / Flickr

Die schreiende Nachbarin

Bevor mein Mann und ich umgezogen sind, bewohnten wir eine schöne Wohnung in einem großen Wohnkomplex. Wir kannten unsere direkten Nachbarn, aber manche Mitbewohner kannten wir nur vom Sehen und Hören. Darunter auch die Mutter eines Kindes namens „Africa„. Dieser Name alleine reichte schon aus, dass ich mich über diese Frau sehr wunderte. Wie kommt man auf die Idee seine Tochter „Africa“ zu nennen? Doch noch viel seltsamer war es, dass sie den ganzen Tag ihr Kind anschrie. „Africa, sei jetzt still!“, „Halt den Mund, Africa!“, „Africa, komm sofort her!“ „Afriiiicaaaa!“. Das circa vierjährige Kind ließ sich von ihrer lautschimpfenden Mutter aber nicht einschüchtern. Africa kannte selbst jede Menge Schimpfwörter und brüllte diese in der selben Lautstärke und mit scheinbarer Begeisterung ihrer Mutter als Antwort ins Gesicht. So ging das jeden Tag. Das Geschrei der beiden drang durch den Hinterhof durch mein Fenster. Und ich bin fest davon überzeugt, dass weder Mutter noch Kind besonders traurig oder gar verletzt waren, dass beide in einem solchen Ton miteinander sprachen. Ich habe Africa immer nur schreien, schimpfen und lachen gehört, nur selten weinte das Mädchen. Eine wirklich eigenartige Mutter-Tochter-Beziehung. Und bis heute frage ich mich: wie ist wohl der Name von Africas Mutter? Ich hätte mich wirklich einmal bei meiner Nachbarin vorstellen sollen, um ihren Namen zu erfahren. Ihr Name hätte mich wirklich interessiert! Worüber ich auch öfters nachdachte: wie sie wohl ihr zweites Kind genannt hätte, wäre sie erneut schwanger geworden? Asia? Australia? America?

Möchtet auch Ihr uns kurz Menschen vorstellen, die Ihr kennt und doch nicht kennt? Dann hinterlasst Euren Kommentar unter diesem Beitrag und erzählt uns von bekannten und doch fremden Mitmenschen aus Eurem Alltag!

Mit diesem Beitrag nehme ich an der Blogparade „Blog-Parade: Menschen, die ich nicht bemerke“ von Sabine teil.

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Katharina Kokoska

Bloggerin von Frisch-gebloggt.de // iNerd // Bloggerin, Texterin, Web Consultant und Internet-Poweruser // Bücherwurm und leidenschaftliche Hobbyfotografin // Nach-Gran-Canaria-Ausgewanderte

4 Antworten

  1. fadenvogel sagt:

    Cool, danke für deine Geschichten. Die Begegnung mit unbekannten Bekannten fasziniert mich immer mehr und ich bin echt froh, dass ich in Form einer Blogparade nachgefragt habe. Darüber erzählt man sonst nie – nicht im realen Leben und auch nicht im Netz. Diese Blogparade ist mein erster Aufruf überhaupt und er war – hüstle – ziemlich spontan. Normalerweise habe ich immer bisschen Schiss, das eh keiner zu einer Party kommt – kleines Trauma. Wenn ich für 8 Uhr abends einlade, dann sitze ich um 19.30 auf der Couch und stelle mir vor,dass keiner kommt. Es kommen am Ende doch Leute, aber irgendwie hänge ich doch jedes mal diesem Gedanken nach. Jetzt bin ich froh, dass ich es doch gemacht habe und freue mich, dass ihr eure Geschichten dazu beigetragen habt.

    • Bei so einem tollen Thema wundert es mich nicht, dass schon so viele bei Deiner Blogparade mitgemacht haben. Und wenn es noch dazu Deine erste Parade ist, dann kannst Du Dich doppelt freuen! Danke auf jeden Fall für diese wunderbare Inspiration! Ich bin gespannt wie viele Teilnehmer Du bis Sonntag zusammen hast!

  1. 13. April 2015

    […] Katharina von frisch gebloggt stellt eine kuriose Mutter aus ihrem Haus vor und macht sich auf die Suche nach ihrer Erinnerung an einen singenden Barbesitzer. […]

  2. 17. April 2015

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