re:publica 2015 | Tag 1 – ein Resümee
Menschenmassen tummeln sich vor und in der STATION Berlin. Es ist der erste Tag der Internet-Konferenz re:publica und die Vorfreude und Spannung ist überall zu spüren. Während manche noch anstehen, um hineingelassen zu werden, trinken andere schon Ihre erste Club-Mate im Hof. Man läuft, guckt, beobachtet, begrüßt und kommt zum Plauschen. Zahlreiche Gesichter blicken auch auf das Display ihrer Smartphones. Es wird gelacht, sich ausgetauscht, fotografiert und von einem Bein aufs andere getreten. Immer mehr Menschen finden inzwischen Ihren Weg zur Stage 1. Hier werden gleich die Gründer der re:publica Andreas Gebhard, Johnny Haeusler, Tanja Haeusler und Markus Beckedahl Ihre Eröffnungsrede halten. Auch auf Twitter ist schon jede Menge los; unter dem Hashtag #rp15 wird getwittert und gezwitschert. Und dann geht es endlich los.
Opening
Mit leichter Verspätung begann die Eröffnungsrede der re:publica. Die Gründer der Konferenz, sowie der Gründer der Media Convention begrüssten das zahlreich erschienene Publikum.
The system is broken
Ethan Zuckerman sprach darüber, wie es heutzutage möglich sein kann mit Hilfe des Internets die Gesellschaft und Politik positiv zu verändern. Das System der Demokratie – das Volk wählt, die Regierung setzt die Wünsche des Volkes um – hält er für kaputt. Das zeige die niedrige Wahlbeteiligung in demokratischen Staaten. Grund sei das Misstrauen der Bevölkerung in ihre Regierungen und Institutionen. Die Menschen gehen zwar überall auf die Strasse und protestieren, politisch ändere sich danach aber wenig. Das habe auch der ägyptischen Frühling gezeigt, nach den Neuwahlen gab es keine nennenswerte politische Änderung oder Verbesserung. Was lässt sich also tun? Zuckerman weist auf erfolgreiche kleine, dezentrale Gruppen hin, die mit Datensammeln, Technik und Konfrontation mit dem nächsten politisch Verantwortlichen gute Erfolge erzielen. Das Internet und seine Möglichkeiten können Politik verändern. Allerdings nicht so einfach und schnell, wie viele es sich in den 90er Jahren noch erträumt und vorgestellt haben. Da waren Internetpioniere noch naiv und haben an den „dummen Mist“ geglaubt, dass sie die Welt ganz einfach verändern könnten.
Die Vermessung der Medienwelt
Eine leidenschaftliche Diskussion zwischen Christoph Keese, Prof. Harald Welzer, Brigitte Zypris, Jo Schück und Björn Böhning zum Thema Medienwelt und Digitalisierung wurde geführt. Hier beeindruckte mich vor allem Prof. Welzer, der in der Digitalisierung, wie sie derzeit unser Leben bestimmt, eine grosse Gefahr für unsere Demokratie sieht. Viel zu leichtsinnig geben wir für die Freude an Computer und Smartphone unsere Privatsphäre auf und werden zu gläsernen Menschen. Privatsphäre sei aber absolut notwendig für eine funktionierende Demokratie. Ein Gedanke, der mir nicht neu ist. Eine Angst, die ich mit Herrn Prof. Welzer teile.
#butterbeidiefische
Tanja und Johnny Haeussler waren in den letzten Wochen äusserst kreativ und fleissig. Sie haben eine fantastische Idee entwickelt, von der ich Euch in einem separaten Blog-Beitrag in den nächsten Tagen berichten werde. Wer neugierig ist, kann hier schon einmal ein Blick auf das neue Projekt der beiden werfen: Tincon.org
Die Netzgemeinde ist am Ende
Markus Beckedahl und Leonard Dobusch gaben einen interessanten Überblick zur Netzpolitik in Deutschland. An welchen Stellen wird gekämpft? Was wurde erreicht? Wo gab es Rückschläge und warum? Noch immer sind die Vereine, die sich für digitale Bürgerrechte einsetzen, nur sehr kleine Grüppchen mit viel zu wenig Mitgliedern und Spendern. Und dass, obwohl inzwischen die grosse Mehrheit der Deutschen online ist und sich für ein freies und sicheres Internet einsetzen sollte. Massenüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Netzneutralität, Urheberrecht – alles wichtige Themen, bei der die Regierung noch immer keine guten Gesetze und Regelungen auf den Weg gebracht hat. Im Gegenteil – die Rechte der Bürger werden mit Füssen getreten. Netzpolitik ist ein wichtiges Thema, das hoffentlich auch von der Bevölkerung und der Regierung bald ernster genommen wird.
Pussy Riot, Günter Wallraff und andere Promis
In verschiedenen Veranstaltungen gab es für die Besucher der re:publica die Möglichkeit auch einige Promis sehen zu können und sprechen zu hören. Darunter die fantastischen Frauen von Pussy Riot, die viel auf sich nehmen, um auf die Missstände in Russland aufmerksam zu machen. Auch Günter Wallraff und sein Team haben von ihren spannenden Undercover-Einsätzen berichtet, mit denen sie Misstände und Skandale in Deutschland aufdecken. Sehr spannend auch der Talk mit Kai Wiesinger und Bettina Zimmermann, die eine Netzserie namens „Der Lack ist ab“ auf MyVideo gedreht haben.
Natürlich gab es an diesem Tag noch viele weitere Sessions. Da ich nicht an mehreren Orten zugleich sein kann, musste ich mich für die Sessions entscheiden, die mir persönlich am interessantesten erschienen. Von diesen habe ich Euch berichtet; ich hoffe, dass es Euch gefallen hat. Morgen erscheint dann der Bericht von Tag 2 der republica 2015. Ihr dürft also gespannt sein!
Mein Fazit: obwohl die Internetkonferenz von einem Schatten überdeckt ist – die Angst in einem Staat der Massenüberwachung zu leben und die Ohnmacht netzpolitisch wichtige Veränderungen nicht auf den Weg bringen zu können – ist von Resignation nichts zu spüren. Die Diskussionen sind lebendig und leidenschaftlich, Ideen sprudeln aus vielen Köpfen und von Aufgeben kann keine Rede sein. Wie jedes Jahr ist die re:publica ein Ort der Denker, Visionäre und Aktivisten.
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